Neueste Diagnose, bei der die Protonentherapie indiziert ist

15. 5. 2020 15:44

Die Guidelines (Fachempfehlungen) der International Lymphoma Radiation Oncology Group (ILROG) eröffnen neue Einsatzmöglichkeiten für die Protonen-Radiotherapie bei leukämisch bedingten Schädigungen.

Leukämisch bedingte Schädigung des zentralen Nervensystems

Die Empfehlungen der ILROG beziehen sich neuerdings auch auf Patienten mit initialer Schädigung des ZNS (positiver Befund in der Zerebrospinalflüssigkeit) oder auf Patienten, die ein Rezidiv im Bereich des ZNS hatten und bei denen eine allogene Transplantation geplant ist, oder auf Patienten mit Schädigung des ZNS und fehlendem Ansprechen auf Chemotherapie oder biologische Therapie.

Bei Patienten mit Leukämie, die eine Infiltration des zentralen Nervensystems (ZNS) oder ein Myelosarkom (Tumormasse außerhalb des Knochenmarks) aufweisen und bei denen eine ärztliche Indikation für die Radiotherapie besteht, ist der Einsatz der Protonentherapie empfehlenswert. Dies bestätigen sowohl die neu aktualisierten Empfehlungen der ILROG als auch dosimetrische Vergleiche der aktuell verfügbaren Formen der Radiotherapie.

Gerade die leukämisch bedingte Schädigung des ZNS gehört zu den neuesten Diagnosen mit Indikation zur Protonentherapie. Der Grund dafür ist, dass das zentrale Nervensystem (d. h. das Hirn und das Rückenmark) durch eine Sicherheitsbarriere, die sog. Blut-Hirn-Schranke, von der Blutbahn getrennt ist, die einen hochselektiven Filter darstellt, über den dem ZNS Nährstoffe zugeführt werden. Manche Stoffmoleküle einschließlich Arzneimitteln gelangen somit nur eingeschränkt oder gar nicht in das ZNS. In manchen Fällen kann daher das ZNS die Quelle eines Rezidivs darstellen, weil sich ein Teil der Zellen dem Effekt der Chemothereapie oder der biologischen Therapie entzieht. Dies kann zur erneuten Ausbreitung der Tumorzellen im Körper führen.

 

Bestrahlung des Gehirns und der kraniospinalen Achse

Durch die einschränkten Möglichkeiten der systemischen Therapie ist eine Bestrahlung des gesamten zentralen Nervensystems sinnvoll. Dazu gehören Bestrahlungen des Gehirns, des Rückenmarks und der Liquorräume, der sog. kraniospinalen Achse. Das Ziel dabei ist es, auch diese schwer zugänglichen Räume von leukämischen Zellen zu befreien, darunter auch von Zellen, die nicht mehr auf Chemotherapie oder biologische Therapie ansprechen.

Die Bestrahlung der kraniosakralen Achse ist gerade für diejenigen Patienten von Nutzen, die trotz intensiver systemischer Behandlung einen positiven Zellenbefund im Liquor aufweisen sowie für Patienten, die bereits bei der Diagnosestellung einen positiven Befund im Liquor hatten, und bei denen ein Risiko für spätere Schädigung des zentralen Nervensystems besteht. Außerdem ist sie auch für Patienten mit leukämischen Tumorherden im Gehirn oder Rückenmark sinnvoll. Bei diesen Patienten sollte daher nach den neuen Empfehlungen bevorzugt der gesamte Bereich der kraniospinalen Achse bestrahlt werden.

 

Nutzen der Protonen-Radiotherapie

Der Einsatz der Protonen-Radiotherapie anstatt der klassischen Bestrahlung kann in diesen Fällen die unerwünschten Wirkungen der Behandlung reduzieren, die früher beim Einsatz der älteren Techniken die Lebensqualität deutlich beeinträchtigten. Hierbei handelt es sich vor allem um Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Schluckschmerzen und Aphten im Mund. Deshalb wurde bei diesen Patienten normalerweise keine Radiotherapie eingesetzt oder eine niedrigere Strahlendosis verwendet, vor allem wegen der bei den älteren Bestrahlungstechniken drohenden Toxizität. Es wurde festgestellt, dass die Bestrahlung des ZNS als eines Risikobereichs bei Risikopatienten die Heilungschancen verbessert. Nach der neuen Empfehlung der ILROG wurden jetzt Patientengruppen mit Leukämie identifiziert, die von der Aufnahme der Bestrahlung der kraniospinalen Achse in das Behandlungsschema profitieren können. Die Protonentherapie ermöglicht außerdem eine reduzierte Strahlenbelastung der vor den Wirbelkörpern gelagerten Organe und eine minimale Strahlenbelastung für die Lunge, das Herz, die Speiseröhre, die Darmschlingen, die Niere, die Leber oder die Harnblase, wodurch das Risiko einer Spättoxizität für diese Organe deutlich reduziert werden kann. Die Bestrahlung der kraniospinalen Achse wird außerdem von den Patienten insgesamt besser vertragen.

Die Protonen-Radiotherapie hat in diesem Fall entscheidende Vorteile gegenüber den übrigen Formen der Strahlentherapie. Nämlich keine Strahlenbelastung der Organe vor den Wirbelkörpern, eine minimale systemische Toxizität (weniger Brechreiz, Erbrechen, Durchfall) und Eignung für intensiv vorbehandelte Patienten (nach mehreren Chemotherapiezyklen) mit Anforderung an reduzierte Strahlenbelastung für die Lunge, die Darmschlingen, das Herz und weitere Organe.

Die Behandlung im PTC erfolgt meist im Liegen in Bauchlage, der Patient liegt in Bestrahlungslage mit den Armen entlang des Körpers. Die Bestrahlung der gesamten Region umfasst 9–12 Sitzungen (entlang der gesamten kraniospinalen Achse applizierten Fraktionen). Bei manchen Patienten werden die risikoreichsten Bereiche, wie zum Beispiel die offensichtlichen Tumorherde nachbehandelt, wobei die Gesamtanzahl von 15–18 Dosen nicht überschritten wird. Die Bestrahlung findet an jedem Werktag statt und kann von leichten Schluckbeschwerden, Müdigkeit und Blutzellen-Schwund begleitet werden.